to | da y to morr ow
JULIAN SHREDDY ELBEL
JU YOUNG KIM
RENÉ STIEGLER
02.02.2024 - 16.02.2024
HELDENREIZER Contemporary freut sich, mit der Gruppenausstellung to | da y to morr ow erstmals Arbeiten der Künstler*innen Julian Shreddy Elbel, Ju Young Kim und René Stiegler zu präsentieren. Die Vivisektion des Ichs, die Selbstbeobachtung im Kontext der Unausweichlichkeit des Daseins verbinden die Werke von Shreddy Elbel, Kim und Stiegler inhaltlich miteinander. Mit ihrer existenzialistisch geprägten Kunst spannen sie den Bogen zwischen Pathos und Poesie, Konstruktion und Authentizität, Konformität und ästhetischem Dasein, Angepasstheit und Aversion. Der menschliche Körper, die „innere“ Reise oder das Moment der Entfremdung sind dabei wiederkehrende Motive, die sich in den Fotografien bzw. Installationen der Künstler*innen zeigen.
Entlang der Koordinaten Raum, Zeit und Körper entwickelt Julian Shreedy Elbel (*2003, München) seine künstlerische Praxis. Seine Fotografien sind performativ inszenierte Selbstbildnisse, die das In-die-Welt-Geworfen-Sein und die Absurdität des menschlichen Daseins vor Augen führen. Schutzlos entblößt gegen die Übermacht des unscharf gefassten Raums rebellierend und resignierend, zeigt sich Elbel in der raumgreifenden Fotoinstallation Ecke (2023/24) als Gefangener. Dazu verurteilt sich in einem multidimensionalen, nur provisorisch zusammengehaltenen Raumkonstrukt fortlaufend selbst zu bestimmen, darzustellen und zu entwerfen. In diesem vagen Raumgefüge begegnet er sich selbst, steht auf dem Kopf, mit dem Rücken zur Wand, liegt am Boden oder wendet sich in die Ecke gedrängt von allem ab. Aus zahlreichen quadratischen Bildträgern setzt Elbel die monochrome Fotoinstallation fragmentarisch zusammen und rastert den Raum geometrisch. Der daraus entwachsenden vermeintlichen symmetrischen Ordnung setzt er – durch das Verfahren der Sandwich-Belichtung – zwei sich überlagernde Raumrealitäten entgegen. Elbel entwirft damit einen dichotomisch organisierten Raum in der sich im Kampf um die Hegemonie Körper und Raum, Chaos und Ordnung, Selbst- und Fremdbestimmung, Macht und Ohnmacht dynamischen gegenüberstehen. Der Raum avanciert in Julian Shreedy Elbels Kunst zur Entität, die im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung und das Erleben der eigenen Person eine entscheidende Rolle spielt. Mit den stets wiederkehrenden Symbolen wie der Lilie oder dem (Gebets-)Teppich umkreist er religiöse, allegorische Bezüge, hinterfragt deren heutige Bedeutung und setzt Akzente zwischen todernster Selbstbefragung und ironischer Objektivierung, Exzentrik und Existenzialismus.
Sie schweben, leuchten, emergieren und infiltrieren, und erscheinen doch zugleich statisch und entrückt wie Relikte einer längst vergangenen Welt oder unbekannter Handlungen. Aus vielfältigen Materialien entwickelt der in Wien lebende Künstler René Stiegler (*1991, Wagna) mystisch anmutende, teils szenische Installationen und Objekte, die in ihrem formalen Spannungsfeld aus diversen Stofflichkeiten fortwährend zwischen organisch Anmutendem und künstlich Geschaffenem, archaisch Naturnahem und kulturell obsolet Gewordenem oszillieren. In seiner künstlerischen Praxis setzt sich Stiegler mit den inneren Konflikten, den Ängsten und Unsicherheiten auseinander, die die menschliche Existenz im Angesicht der aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Herausforderungen prägen. So durchzieht er seine Werke mit Symbolen der Vergänglichkeit, baut sie auf formalen, materiellen und wahrnehmungsbasierten Paradoxien auf, wodurch er diesen den Charakter einer Vanitas-Darstellung verleiht und die Betrachtenden zur Kontemplation über die Ephemerität der eigenen Existenz einlädt. Deutlich wird dies etwa in Arbeiten wie Gibbet #1 (2023). Knochenartige Strukturen, die sich wie ineinander gesteckte Blütenkelche schlängeln, dominieren das Erscheinungsbild dieser Installation. Einzig verbunden durch ein erschlafftes, leblos herunterhängendes Kabel, wecken der kompositorische Aufbau und die Materialität Assoziationen eines abgestorbenen Organismus. Gibbet scheint zudem in parasitärer Manier mit der Architektur verbunden, jedoch längst leblos, im Akt der Invasion ausgelöscht. Der morbide Eindruck findet seine Entsprechung im Titel wieder, der sich vom Englischen „gibbeting“ ableitet, das die Verwendung eines galgenartigen Aufbaus umschreibt, an dem die toten oder sterbenden Körper von Delinquenten zur Abschreckung öffentlich zur Schau gestellt wurden.
Das Motiv der Reise als Ausdruck der Erforschung des eigenen Ichs und der Suche nach persönlicher Identität und Bedeutung zieht sich wie ein roter Faden durch das Œevre der südkoreanischen Künstlerin Ju Young Kim (*1991, Seoul). Aus Materialien wie Keramik, Glas, Metall, Kunststoff und solchen organischen Ursprungs entwickelt Kim landschaftsartige Installationen, Collagen und Objekte. Formal kennzeichnend sind dabei zum einen die Verwendung von Bauteilen und Objekten der Reiseindustrie, wie etwa die Innenverkleidung eines Verkehrsflugzeugs oder Flugnavigationskarten, die sie in ihre Arbeiten inkorporiert. Zum anderen schafft sie durch Transparenz, Opaleszenz und Lumineszenz räumliche und atmosphärische Qualitäten, die den Betrachtenden eine facettenreiche Annäherung an das Gefühl von Weite und Landschaft ermöglichen. Diese ästhetische Zuspitzung, mit der die Künstlerin das Publikum subtil auf Reisen schickt, findet sich auch in den Glaskasten-Objekten der Serie The unlocated slice of the Sea (2022/23). Die formal einen in sich geschlossener Raum bildenden Arbeiten vermitteln durch die Glasflächen einen nahtlosen Übergang zwischen Innen- und Außenräumen, was die Wahrnehmung einer erweiterten Landschaft provoziert. Hinzu kommt ein an die Luftperspektive angelehntes blaues Farbspektrum, das einzig durch die Metall-Drippings und die aufgedruckten geometrischen Strukturen durchbrochen wird. Letztere erweisen sich bei näherer Betrachtung als Fragmente einer Flugnavigationskarte. The unlocated slice of the Sea zeigt sich damit als Raumausschnitt eines nicht näher definierten Ortes, als ein „unbekanntes Stück See“ wie der Titel deutlich macht. Dahinter steht eine subtile, existenzialistische Metapher: das unbekannte Meer als Sinnbild für eine einst offene und unerforschte Welt, in der die Schauplätze vieler Mythen und Sagen verortet wurden. Diese waren einst prägend für unsere kollektive und individuelle Identität. Doch in einer vollständig erschlossenen und kolonisierten Welt hat sich dies gewandelt – die einst unbekannten und unerreichbaren Orte, die reiche metaphorische Landschaften für die Auseinandersetzung mit dem Selbst, der inneren Welt und den unergründlichen Aspekten der menschlichen Existenz boten, sind geschrumpft, überschaubarer, enger geworden oder gänzlich verschwunden.
Ausstellung
2. Februar 2024 - 16. Februar 2024
Türkenstr. 32, 80333 München