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THE MAKESHIFT HOME
PAULA NIÑO

28.06.2024 - 27.07.2024

My parents' house is located in the south of Bogotá. The façade has visible bricks, a green roof, a green door. At first, I slept on the first floor, but with the arrival of my brothers the house was extended and I got a new room on the second floor. Built as if from nothing. One day it wasn't there, the next I was asked what colour I wanted the walls to be.

In Colombia, we don't move to a new house when the old one becomes too small. In Colombia, rooms are added, old walls are torn down and new needs are built up. We build vertically to get closer to the sky, to never have to leave. Rootedness to the territory, to the neighbourhood, to the favourite bakery and corner, is part of the cultural identity, but what if we have to go? What if my parents get divorced and the house has to be sold? What if someone takes us out by force?

 

Colombia is one of the countries with the highest number of internally displaced people in the world, reaching almost 7 million in 2022. A consequence of the increase in forced displacements, the confinement of communities, extortion, forced recruitment and targeted violence.

I think of all those who have to improvise a house, all those for whom the makeshift becomes permanent.

 

I decided to migrate, without anyone threatening to put my life at risk. I decided to leave, accepting how much I would miss the afternoon sun with my cat, but also knowing that four houses away a man had been shot when I was a child. 

I decided to start a new home on the other side of the world, and although each house still feels temporary and borrowed, I know I still have my room on the second floor, on “la calle 39 b sur”. 

 

Paula Niño, 2024

 

„Zuhause ist es einfach am schönsten.“ Eine Formel, die wir dank Lyman Frank Baums Kinderbuchklassiker „The Wizard of Oz“ (1900) schon als Kinder verinnerlichen. Diese durchaus ideologisch aufgeladene Redensart konstruiert das Zuhause als wertkonservative „Bubble“, die Schutz, emotionale Stabilität und Komfort bietet. Die kolumbianische Künstlerin Paula Niño stellt in ihrer In-Situ-Installation dieses tradierte Konzept des Zuhauses im Kontext von globaler Mobilität, Diaspora und transnationalen Identitäten zur Disposition.

 

Dafür schafft Niño einen wirkmächtigen „Transzendenz-Raum“, in dem sich Innen und Außen durchdringen. Historische Bezüge, die Lebensgeschichte der Künstlerin sowie die Biografien der Betrachtenden verschmelzen darin zu einem eigenen Mikrokosmos, der nur im Hier und Jetzt als vermeintliches Zuhause seine ephemere Gültigkeit erlangt.

 

Paula Niño führt uns vor die Ziegelsteinfassade ihres Elternhauses in Bogotá, das einst die Hausnummer 65-15 trug. Neonorange und irritierend flimmernd wie eine Fata Morgana erhebt sich die Fassade stilisiert aus einem rechteckigen Raster, das die Künstlerin mit einem Tape direkt auf die Architektur des Ausstellungsraums angebracht hat. Im Kontrast dazu platziert sie, nahezu raumverloren an der größten freigelassenen Wand, ihren Lebenslauf gleichsam als „finestra aperta sull'anima“. Schonungslos offen und persönlich verwebt sie darin ihre Lebensgeschichte mit historischen Ereignissen, die unmittelbar auf das Leben der Künstlerin, aber mutmaßlich auch auf das der Betrachtenden eingewirkt haben bzw. noch einwirken. Niño stellt sich in die Schusslinie, macht sich angreifbar und wirft dadurch gezielt Fragen der Identität, der Integrität und des politischen Diskurses auf. 

 

Ein symbolträchtiges Ready-made, ein schneeweißer Containersack, in dem Hab und Gut verstaut werden und der selbst als Raumprovisorium fungiert könnte, erinnert an jene, die gezwungen sind, ihr Zuhause aus politischen Gründen zu verlassen, weiterzuziehen oder die kein Obdach mehr haben. Auf dem Boden des Sacks findet sich der kryptische Spruch: „A THOUSAND AND ONE IS STILL A THOUSAND.“ Dieser reflektiert, dass Flucht und Vertreibung oft nur als rationale Zahlengrößen erfasst werden und nicht als Einzelschicksale. Paula Niño verdeutlicht damit den zunehmend vorherrschenden operativen Rationalismus, der kein Gespür für Gedächtnis, Zeit und Erinnerung hat – jene Parameter, die die Idee von Zuhause, Zugehörigkeit und Identität entscheidend prägen.

Ausstellung

28. Juni 2024 - 27. Juli 2024

Türkenstr. 32, 80333 München

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