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CHRISTIAN HOLZE
50/50

22.11.2024 - 11.01.2025

Der Barberinische Faun (um 220 v. Chr.) der Münchner Glyptothek ist das Idealbild eines muskulösen Beaus in lasziver Pose, wie man es aus den sozialen Medien oder der Parfum-Werbung kennt. Christian Holze (*1988) kreiert eine mehrfach potenzierte Version, die sich aus sich selbst heraus zu reproduzieren scheint. Paradoxerweise verschwindet die Figur dadurch sozusagen in sich selbst. Übertragen auf unsere heutige Seherfahrung macht die Omnipräsenz bekannter Werke im Netz und auf Konsumartikeln diese gewissermaßen unsichtbar, denn man nimmt sie kaum noch bewusst wahr. Erst durch den Akt der Verfremdung werden sie wieder einzigartig, erregen Aufmerksamkeit. Allerdings konterkariert Holze den Anspruch auf Einzigartigkeit dadurch, dass es sich um ein Editionsobjekt handelt: die Vervielfältigung der Potenzierung, die freilich durch den Künstler limitiert wird.

 

Jung und muskulös sind auch die Körper der beiden Männer, die sich in Time Sleep (#NNts2202) (2022)  ein Stelldichein geben - Vincenzo de Rossis Sterbender Adonis und der berühmte Sterbende Gallier. Die verblüffende Verschmelzung zweier Sterbender irritiert. Wo man in der Paarung sexuelles Begehren zu erkennen glaubt, ist eigentlich die Ekstasedes Todes gemeint. Bei Adonis ist die tödliche Wunde, die der Eber ihm zugefügt hat, am rechten Oberschenkel deutlich erkennbar. Tod und Leben, Sex und Sterben - die Übergänge sind fließend und letztlich reine Interpretationssache. Reibungslos ineinander greifen hier auch Vorlagen aus verschiedenen Epochen: Der Sterbende Gallier ist eine römische Marmorkopie nach einer hellenistischen Bronze; Vincenzo de Rossis Marmorskulptur stammt aus dem 16. Jahrhundert. 

 

Zuspitzung durch Übertreibung und Vervielfältigung, ironische Brechung durch absurde Neukombinationen, kräftige Farben und glänzendes Oberflächenfinish: Christian Holze ist ein versierter Jongleur einer Hyperrealität an den Schnittstellen von Analogem und Digitalem, Kunst und Kommerz, Gegenwart und Antike, in der sich die Frage von Original und Kopie, von Vorbild und Nachahmung für viele gar nicht mehr stellt. In seiner künstlerischen Praxis führt er Malerei, Bildhauerei, Prints und computerbasierte sowie ki-gestützte Verfahren zusammen. Das 3D-Modell für den Barberinischen Faun beispielsweise kommt von einem US-amerikanischen Unternehmen. Woher die Ausgangsdaten stammen - ein Scan vom Original, von einer der zahllosen Kopien - und wie diese weiterbearbeitet wurden, bleibt unbekannt. Der Druck erfolgt durch Versintern einer Mischung aus Sand und Epoxidharz. Denkbar erschwingliche und leicht verfügbare Ausgangsmaterialien werden im 3D-Drucker zu Kunst, deren Datenbasis aus einer kommerziellen Quelle stammt. Hinter allem steht der Künstler als Instanz, dem allein die Selektion und Legitimierung von Kunst zusteht. Besonders deutlich wird das, wenn Holze die Buchstaben CCH wie ein Logo oder ein Wasserzeichen verwendet. Während ein Wasserzeichen einen Kopierschutz darstellt, der nach dem Kauf entfernt wird, repräsentieren die Logos bekannter Marken Qualität und Exklusivität, werden bewusst zur Schau gestellt. In der Kunstwelt war es bereits der geschäftstüchtige Künstler-Unternehmer Albrecht Dürer, der sich sein Monogramm (AD) als Marke hat schützen lassen.

 

Bei Christian Holze entstehen aus der Kombination des Schönheitsideals antiker Skulptur mit der Ästhetik sozialer Netzwerke, des Marketings und des Produktdesigns hybride Objekt- und Bildwelten, die brisante Fragen des Seins und der Kunst aufwerfen: Authentizität, Kommerzialisierung und Begehren. Dabei spielen die Arbeiten durch ihre Sinnlichkeit mit den Betrachtenden - gibt es eine Grenze zwischen Betrachtung und Voyeurismus, zwischen Beschreibung und Begehren? Dies ist schon lange ein Grundmotiv der Rezeption gerade antiker Kunst:

„Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder.“ „[…] ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößt.“

So beschreibt Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) den Apollo von Belvedere. Dem Torso vom Belvedere nähert er sich mit seiner Feder folgendermaßen: „Ich wurde entzückt, da ich diesen Körper von hinten ansah, so wie ein Mensch, der nach Bewunderung des prächtigen Portals an einem Tempel auf die Höhe desselben geführt würde, wo ihn das Gewölbe desselben, welches er nicht übersehen kann, von neuem in Erstaunen setzt.“

Aus diesen Zeilen mag man die feuchten Träume des homosexuellen „Vaters der Kunstgeschichte“ herauslesen. Zugleich wurden die Werke durch seine Texte zu Ikonen antiker Skulptur, die man gesehen haben musste - wenn schon nicht im Original, dann wenigstens als Kopie. Es entstanden zahllose Reproduktionen in unterschiedlichen Größen und Materialien - für den Park des eigenen Schlosses oder für den bürgerlichen Salon: Must-haves am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. In Kunstakademien wurden Sammlungen von Gipsabgüssen antiker Skulpturen für Lehrzwecke genutzt, denn - so Winckelmann - nur durch die „Nachahmung der Alten“ könnten Künstler „unnachahmlich“ werden. Heute sind Reproduktionen antiker Skulpturen nach wie vor sehr beliebt: als Polyresin-Figuren für den eigenen Garten, als Abbildungen auf Kalendern, T-Shirts oder auch Kochschürzen. Auch die kräftigen Farben und zu Teilen glossy Oberflächen von Holzes Arbeiten sind nicht so neu, wie man meinen könnte: Zu Winckelmanns Zeiten entsprach die weiße Skulptur dem ästhetischen Ideal. Heute meinen wir zu wissen, dass die Antike bunt, ja von einer geradezu poppigen Farbigkeit war. Als Projektionsfläche und Spiegel ästhetischer sowie gesellschaftlicher Ideale wird ‚die Antike‘ seit Jahrhunderten immer wieder neu interpretiert und auf ganz unterschiedliche Weisen angeeignet. Holzes Arbeiten eröffnen leichtfüßig solche weiten Assoziationsräume zwischen Kunst und Kommerz, Bewunderung und Aneignung, Ästhetik und Technik. Es bleibt einem selbst überlassen, inwieweit man in sie eindringen möchte.

Ausstellung

22. November 2024 - 11. Januar 2025

Türkenstr. 32, 80333 München

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